Aktuelles (Religion)

Besuch eines Rabbis aus Israel

Besuch eines Rabbis aus Israel

Auf Initiative von Frau StRin Hirsch über den Kontakt zu Pfr. Dr. Wachowski (Wernsbach) nutzten wir die Gelegenheit, einen reformjüdischen Rabbi aus Israel zu uns einzuladen. Insgesamt vier Q11-Kurse (Bck, 2x Bl, Han) und zwei Reli-Gruppen aus den zehnten Klassen (Bck, Han) bekamen einen tiefen Einblick in das Leben, die Gemeinde, das Land und die Persönlichkeit von Or Zohar und seiner Frau Feliza. Die beiden bereisen mit ihrer Musik fast die ganze Welt. Auch bei uns am ThG konnten wir eine kleine Kostprobe ihres Könnens genießen („Ashrei“). Ihre Lieder bestehen zumeist aus alten hebräischen Gebets- und Bibelversen, die sie mit eingängigen Melodien und moderner Popmusik unterlegen (www.orandfelizamusic.com, auch bei Spotify, Deezer, Youtube …).

Um einen ersten Eindruck von Rabbi Or Zohar und seinem Leben zu bekommen, erzählte er kurz über seinen Wohnort bei Nazareth in der Nähe des Sees Genezareth in Galiläa/Israel. Dort wohnen er, seine Frau und seine vier Kinder – wobei die älteste Tochter gerade die High-School abgeschlossen hat und, wie alle Israelis, bald zum Militär muss – in einem kleinen Dorf, wo in der Nachbarschaft Juden, Muslime, Christen und „nichtreligiöse“ Menschen friedlich zusammenleben. Sie haben dort keine eigene Synagoge, sondern feiern Gottesdienst meist im Freien, manchmal in Privathäusern, in einem Restaurant oder selten in der Nachbargemeinde in deren Synagoge. Weiter berichtete er von seiner Arbeit als Rabbi, die der eines Pfarrers sehr ähnelt, also z.B. Gottesdienste, Hochzeiten, Beerdigungen, Krankenbesuche, Bar- bzw. Bat-Mizwa (vergleichbar mit der Konfirmation in der evangelischen Kirche) und viel Organisation. Er gehört dem Reformjudentum an. Dieses, so erklärte er, hat seine Wurzeln vor ca. 200 Jahren in Deutschland, als viele Juden hier vor der Entscheidung standen, die alten Traditionen zu bewahren und sich der schnell ändernden Welt zu verschließen oder die jüdischen Traditionen der modernen Welt anzupassen. Im Reformjudentum werden Männer und Frauen als gleichberechtigt angesehen, d.h. auch Frauen können Rabbinerinnen werden, dürfen aus der Tora im Gottesdienst vorlesen und müssen in der Synagoge nicht getrennt von den Männern auf der Empore oder ganz hinten sitzen. Gleichberechtigung gilt hier für alle Menschen, auch z.B. aus der LSBTIQ-Vielfalt. Auf eine Frage aus den Reihen der Schülerinnen und Schüler, wie viele der 613 jüdischen Ge- und Verbote er denn als Reformjude befolgen würde, antwortete er, es gebe Gebote, die sich von selbst verstehen und deshalb für alle gelten, wie „Du sollst nicht stehlen“, „Du sollst nicht töten“ und es gibt Vorschriften in der Tora, die mit dem modernen Leben nicht vereinbar seien und die er deshalb auch nicht einhalten würde. Er genieße die Freiheit Jude sein zu dürfen ohne sich streng an die Gebote halten zu müssen.
Nach diesen kurzen Infos zu seiner Person und der musikalischen Darbietung öffnete Or Zohar die Runde für Fragen aus der Schülerschaft. Die folgenden Beispiele zeigen einen Ausschnitt aus der Vielfalt und der Tiefe der Fragen und seine Antworten zeugen von seiner ehrlichen und freundlichen Persönlichkeit. Wie er mit seiner Frau Feliza zusammengekommen sei, erzählten sie beide von ihrer Zeit in den USA, wo er studiert und dort eben sie kennengelernt habe, weswegen auch sehr viele ihrer Musik-Tourneen durch die USA führten.

Dass die Veranstaltung nicht trocken und langweilig war, beweist seine Antwort auf die Frage „Was kommt für Juden nach dem Tod?“ Er meinte: „Es ist noch keiner zurückgekommen, um davon zu erzählen!“ und präzisierte dann, dass es sich hier um eine Glaubensfrage handele und nicht um Wissenschaft, weshalb es viele Meinungen gebe, aber es niemand wirklich wissen könne.

Eine Frage nach den Speisevorschriften beantwortete er damit, dass es ihm wichtiger sei, bewusst zu essen, sich bewusst zu machen, wie viel Wert das Essen an sich hat.

Eine Schülerin fragte, wie er sich zu Hass und Terror in Israel verhalte, wenn er doch vorhin erzählt habe, wie friedlich und „multikulti“ er in seinem Dorf wohne. Or Zohar ist schockiert über Anschläge (vergangene Woche wurden in Israel drei tödliche Terrorattacken verübt). Aber, meinte er, in jedem von uns stecke die Möglichkeit zu hassen, deshalb haben wir immer zu wählen, wofür wir uns entscheiden wollen. In jedem stecke ein kleiner Terrorist. Durch schlechten Einfluss oder Propaganda kann dieser schnell die Oberhand gewinnen. Für ihn persönlich gilt „we bring love is the only answer“. In diesem Zusammenhang hat er auch eine Gruppe gegründet, in der sich Priester, Rabbis und Imame treffen und sich regelmäßig darüber austauschen.

Auf die Frage, ob er auch manchmal an den Holocaust denke, antwortete er, dass es wichtig sei sich zu erinnern, dass man aber gemeinsam nach vorne schauen müsse. In diesem Zusammenhang wies er auf die aktuelle Ausstellung „1700 Jahre Judentum in Deutschland“ hin. Judentum in Deutschland beschränke sich nicht auf den Holocaust. Man dürfe sich nicht mehr als Opfer oder Täter(-Nachkomme) sehen. Als er allerdings diese Woche während der Besichtigung der Ansbacher Synagoge vor dem Hintergrund ihrer Geschichte ein Gebet sprach, musste er plötzlich weinen, so sagte er, und spürte, dass der Stachel des Holocaust doch irgendwie ganz tief in ihm stecke, ohne dass er sich dessen immer bewusst sei.
Alles in allem schenkte uns Or Zohar mit seiner Frau Feliza, die seine Berichte auch immer wieder mit eigenen Gedanken ergänzte, drei kurzweilige, höchst emotionale und persönliche Schulstunden. Solche Kontakte prägen über den Lehrplaninhalt hinaus wesentlich das Lernen, was ja auch an den vielen und vielfältigen Schülerinnenfragen und Schülerfragen deutlich wird. Der Schulgong zum Stundenende kam jedenfalls immer zu früh. Als kleines Erinnerungsgeschenk durften sich die Zohars und Pfr. Wachowski über eine mit Sweeties gefüllte ThG-Tasse freuen.

Pfr. Markus Bellmann

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